Werden RoboterInnen das Gesundheitswesen nicht nur effizienter, sondern auch menschlicher machen?
Zu dem Thema „Social Robots“ haben wir mit Diplom Psychologen Herrn Lönneker, unserem Kooperationspartner in der qualitativen Marktforschung gesprochen.
Im Rahmen unseres regelmäßigen Technologie-Scans treffen wir neuerdings auf eine neue Form von Robotern: den „Social Robot“. Diese „Social Robots“ erkennen Interesse und Gefühlsregungen des Gesprächspartners. Sie interagieren auf einer sozialen Ebene, befolgen soziale Verhaltensmuster und Regeln. Die Deutsche Bahn, Therapeuten, aber auch Pharmaunternehmen nutzen „Social Robots“, um mit dem Kunden in den Dialog zu treten.
Singh: Die Nachfrage nach Robotern insgesamt steigt rasant um 85%, wie man dem Jahrbuch „World Robotics Services“, der International Federation of Robotics (IFR) entnehmen kann. Auch die Medizin und Gesundheitsbranche investieren in diese Technologien. Wie wirken aber nun die sogenannten „Social Robots“, inwiefern können Sie den Menschen als Dialogpartner ersetzen?
Lönneker: Es gab schon sehr früh Experimente und erste Erfahrungen auf diesem Feld: Joseph Weizenbaum hat schon vor 40 Jahren mit seinem Gesprächsführungsprogramm „Eliza“ eine Art Selbsterfahrung ermöglicht. Der damalige „Social Robot“ hat dafür nur eine einzige von vielen psychotherapeutischen Fragetechniken angewandt: „Eliza“ war programmiert, immer eine inhaltliche Aussage des menschlichen Dialogpartners aufzugreifen und eine Frage dazuzustellen. Der Effekt war enorm. Die Leute „redeten“ stundenlang mit „Eliza“. Social Robots können Menschen nicht ersetzen, sie können aber durchaus Dialogpartner sein. Diese Dialoge können über eine rein funktionale Voice-Steuerung von Maschinen hinausgehen. Wir reden jetzt mit Alexa über mehr als nur über Amazon-Bestellungen.
Singh: Merck Schweden hat zusammen mit Furhat den „Social Robot“ PETRA entwickelt. Dieser hat die Fähigkeit, Symptome der drei häufigsten nicht erkannten Krankheiten zu erkennen: Diabetes, Alkoholismus und Hypothyreoidismus. Er hat ein dreidimensionales Gesicht, welches Emotionen darstellt. Nun zeigen erste Versuche, dass anscheinend die Patienten offener, ehrlicher dem Roboter gegenüber sind als dem Menschen. Kann das sein und wenn ja, warum?
Lönneker: Menschen sind Maschinen gegenüber tatsächlich oft „ehrlicher“, wenn diese nicht als Teil des sozialen Umfeldes wahrgenommen werden. Wenn man sich alleine auf die Waage stellt, um das eigene Gewicht festzustellen, akzeptiert man das „ehrliche“ Feedback der Waage. Das sieht aber ganz anders aus, wenn das Gewicht öffentlich gemacht werden soll. Entscheidend ist also nicht, ob es sich um eine Maschine handelt, sondern die Frage, in welchem Umfang das relevante soziale Umfeld eingebunden wird und wie ich dort vermeintlich wahrgenommen werde.
Singh: In der Gesundheitsbranche sollen „Social Robots“ den personellen Engpass beseitigen. Zudem gibt es aber auch therapeutische Anwendungsfälle, wie zum Beispiel ERIK, der autistischen Kinder in ihrer emotionalen Entwicklung helfen soll. Wird es das Gesicht unseres Gesundheitswesens in Deutschland grundlegend ändern?
Lönneker: Ja, das Gesicht des Gesundheitswesens wird sich deutlich wandeln. Grundsätzlich kann all unser Handeln, das von Mustern und Routinen geprägt ist, künftig auch von Algorithmen und Maschinen durchgeführt werden. Warum soll ein Roboter denn keine anamnestischen Routinen ersetzen oder einfache Diagnostikmuster anwenden? Man sollte nur nicht dabei stehen bleiben. D.h. die Roboteranalyse sollte nie komplett den anamnestischen und diagnostischen Blick der Ärzte ersetzen. Denn Ärzte können auch Symptome oder Auffälligkeiten jenseits der normalen Muster erkennen. Und Pfleger nehmen nicht nur die Symptome einer Krankheit wahr, sie erfassen mehr von der gesamten Befindlichkeit eines Patienten als ein spezialisiertes, digitales Diagnoseinstrument.
Im Beispiel von ERIK versucht man dagegen, den umgekehrten Weg zu gehen. Weil menschliches Verhalten für autistische Kinder oft zu komplex ist, um es richtig einzuschätzen, nutzt man die Robotik, um den Kindern einfache, klare Muster und Routinen in der emotionalen Interaktion zu vermitteln.
Diese Formen der digitalen Unterstützung werden immer mehr und selbstverständlicher werden. Sie können dazu genutzt werden, den Menschen im Gesundheitswesen mehr Räume für Diagnostik, Zuwendung und Pflege zu verschaffen oder für das genaue Gegenteil: zur reinen Kosteneinsparung und der Reduktion von Zwischenmenschlichkeit. Zu befürchten ist, dass überwiegend die Kosteneinsparung im Fokus stehen wird.
Singh: Unsere nächsten gemeinsamen Vorhaben stellen die Pflege in der Gesundheitsbranche in den Fokus. Und das speziell aus einer psychologischen, digitalen Perspektive. Welchen Ergebnissen sehen Sie mit größter Neugierde und Spannung entgegen?
Lönneker: Digitalisierung unterstützt Menschen grundsätzlich in ihren Wünschen nach mehr Autonomie und Individualität im Alltag und im Gesundheitswesen. Sie führt aber gleichzeitig auch oft zu Einsamkeit und Gefühlen von Ausgeliefert- und Verlorensein, weil die Prozesse anonymer, technischer ablaufen.
Welche Konzepte können diese Ambivalenz künftig am besten meistern? Wie bekommen wir digitale Technik, Wirtschaftlichkeit und das Bedürfnis nach einem menschlichen Miteinander in eine gute Balance? Bei der Suche nach neuen Lösungen für diese neuen Herausforderungen entwickelt unser Team die größte Neugierde.
Singh: Werden Roboter das Gesundheitswesen nicht nur effizienter, sondern auch menschlicher machen?
Lönneker: Die unangenehmen und aufwendigen Seiten von Zwischenmenschlichkeit wie etwa die Pflege werden in westlichen Kulturen gerne an Dritte oder an Technik „wegdelegiert“. Dies wird sicherlich auch für den Einsatz von Robotern maßgeblich sein. Es ist davon auszugehen, dass dies paradoxerweise von den Betroffenen begrüßt und sogar als menschlich empfunden wird. Dies gilt aber nur solange wie sie dadurch ihr Leben autonom und unabhängig von anderen gestalten können. Wenn Menschen aber wirklich nicht mehr alleine klarkommen, dann sehnen sie sich sehr emotional nach Unterstützung von anderen Menschen – ob im Service, in der Pflege oder im generellen Miteinander. Gerade hier wird die Robotik jedoch zu weniger Menschlichkeit führen, weil sie teure menschliche Kräfte in Teilen ersetzen kann und wird.
Singh: Vielen Dank für das Gespräch Herr Lönneker.
Jens Lönneker lebt in Köln und befasst sich mit tiefenpsychologischen Analysen. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu den Themenfeldern Ernährung, Medien und Verfassungsmarketing, ist Referent im In- und Ausland und hat einen Lehrauftrag an der UdK Berlin, der BSP Berlin und ist Gastreferent an der Universität St. Gallen. Seit 2011 führt er mit Ines Imdahl zusammen das Unternehmen rheingold salon.
Sanjiv Singh lebt in Hamburg und ist Diplom Kaufmann, zertifizierter Coach und Change Manager. In der Dennso AG analysiert und entwickelt er mit unseren Mandanten Wachstumsfelder und innovative Geschäftsmodelle, dies speziell für Pharmaindustrie, Gesundheitswesen und im Banking-Umfeld.