Future of Food – Future Food oder was gibt es morgen zu essen?

Vegan Burger Future Food

Was heißt Future Food? Wir ernähren uns falsch – zu viel Fleisch, zu viel Zucker, zu viele Kohlenhydrate – einfach zu viel von allem. Und dabei werden wir immer dicker und leben ungesund. Aber was können wir noch essen, wenn wir uns einigermaßen gesund ernähren und weder Tiere quälen, noch dem Klima Schaden zufügen wollen? Bleibt dann der Genuss auf der Strecke? Sind Food-Innovationen die Lösung? Oder werden wir alle zu Veganern?

Übergewicht bei Erwachsenen

Entwicklung BMI in Deutschland/Europa (Quelle: WHO)

 

Das Zeitalter des Foodismus

In der Vergangenheit gab es eine Art stilles Übereinkommen zwischen Industrie, Handel und Konsumenten: Die Industrie produziert eine fast unendliche Vielfalt an Produkten und bietet diese gemeinsam mit dem Handel zu günstigen Preisen an. Die Konsumenten freuen sich über eine immense Auswahl und konsumieren ohne mehrheitlich Produktion und Wirkungen auf sich und Umwelt zu thematisieren. Gekauft wurde was gefällt und schmeckt.

Diese Zeiten haben sich deutlich geändert. Vor allem die junge Generation Z (geboren zwischen 1997 bis 2012) stellt sich, dem Future Food und der Industrie konsequent Fragen nach Umweltverträglichkeit, gesundheitlichem Mehrwert und Nachhaltigkeit der Produkte und ihrer Herstellung. Vegetarische und vegane Ernährung hat sich, vor allem aus Gründen der inneren Haltung und ethischen Orientierung, aus einer kleinen Nische zu einem ernst zu nehmenden und schnell wachsenden Marktbereich entwickelt.

Zunehmend mehr Menschen folgen dem Konzept der Selbstwirksamkeit und sind davon überzeugt, dass ihr eigenes Konsum- und Ernährungsverhalten die industriell geprägten Strukturen der Nahrungsmittelproduktion zum Besseren verändern kann. Ernährung ist dabei zu einem wesentlichen Mittel des Ausdrucks der eigenen Persönlichkeit und von Überzeugungen geworden, das z. T. eine quasi-religiöse Qualität erreicht. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von einem Zeitalter des „Foodismus“ sprechen, in dem Menschen zu überzeugten Anhängern einer bestimmten Ernährungsweise und der ihr zugehörigen Werteorientierung werden bzw. sind.

 

Wie vegan ist Deutschland

Wie vegan ist Deutschland? (Quelle statista)

 

Diese Entwicklungen haben sich viele Food-Start-up Unternehmen zunutze gemacht, die sich mit ihrer Haltung zum einen deutlich von den bestehenden Industriestrukturen abgrenzen wollen sowie mit innovativen Produktideen sowohl gesundheitliche Mehrwerte als auch ethische Überzeugungen verbinden. Immerhin fast 10 % der deutschen Start-up Unternehmen sind laut der Studie Deutscher Start-up Monitor 2018 im Bereich Ernährung und Nahrungsmittel/ Konsumgüter angesiedelt und bilden damit den drittgrößten Branchenfokus.

Den Handel freut´s. Bringen diese Unternehmen doch nicht nur Future Food Innovationen in die Regale, sondern erhöhen parallel den Druck auf die etablierten Anbieter. Gleichzeitig ist die Mehrzahl der Start-up Unternehmen noch weit entfernt von der mengenmäßigen und logistischen Leistungsfähigkeit der großen Industrieunternehmen, um tatsächlich eine ernst zu nehmende Rolle in der deutschen oder europäischen Lebensmittelbranche zu spielen und im harten Wettbewerb des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) auf Dauer bestehen zu können.

Big Money oder Smart Money?

Viele Start-up Unternehmen suchen ihren Einstieg in die Branche deshalb zunächst über digitale Vertriebskanäle sowie den Naturkost- und Biofachhandel, der mit höheren Margen kalkulieren kann und geringere Anforderungen an Mengenverfügbarkeit und Logistik stellt. Um jedoch den Schritt zu weiterem Wachstum und Profibilität zu ermöglichen, stellt sich für viele Start-up-Unternehmen irgendwann die Frage nach einer LEH-Listung. Um dieses Ziel zu erreichen, sind jedoch neben der Kenntnis der entsprechenden Anforderungen auch die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, was regelmäßig mit entsprechenden Investitionen in Produktionsaufbau, Logistik, IT-Systeme und Außendienst verbunden ist.

Hier stellt sich für Start-ups die Frage nach dem richtigen Partner: Venture Capital oder strategischer Partner aus der Industrie? Während mittlerweile weltweit ca. 500 Venture Capital Unternehmen die Chancen durch veränderte Konsumentenwünsche und Produktinnovationen im Lebensmittelbereich erkennen, sind es auf Industrieseite bisher nur die internationalen Food-Konzerne und wenige mittelständischen Unternehmen, die sich als strategische Partner für die Start-ups positioniert haben. Dabei würde die Zusammenarbeit zwischen der stark mittelständisch geprägten Lebensmittelindustrie in Deutschland und jungen Innovationsunternehmen für beide Seiten viele Vorteile bieten.

Anders als Venture Capital Unternehmen, die sich gezielt als leistungsfähiger und finanzstarker Partner für die Start-ups in Position bringen, hat die mittelständische Lebensmittelindustrie diese Chance bisher nur in Ausnahmefällen erkannt. Auch Start-ups tun sich offensichtlich schwer mit der Vorstellung, ein etabliertes Unternehmen der „bösen“ Industrie könnte ein geeigneter Partner für die Umsetzung ihrer Vorstellungen und Ziele der Ernährung von morgen sein. Vorbehalte und Skepsis sind offensichtlich auf beiden Seiten groß.

New Food – Alles so schön grün hier

Future Food ist grün. Allgemein sind echte Innovationen im Lebensmittelbereich im Sinne vollständig neuer Produktkonzepte oder Produktionsmethoden ein eher seltenes Gut. Doch in letzter Zeit kommt Bewegung in die Sache, insbesondere im Bereich von Alternativen zu tierischen Rohstoffen bzw. neuen pflanzenbasierten Produktkonzepten. Hier liegt eindeutig einer der großen Schwerpunkte der Angebote innovativer Anbieter. Neben vielen anderen Bereichen lassen sich derzeit folgende Schwerpunkte ausmachen:

Das neue Fleisch – die Proteinquelle

An pflanzlichen Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten geht kein Weg mehr vorbei.

So soll nach Einschätzung von Barclays Bank der weltweite Markt für Fleischalternativen innerhalb der kommenden zehn Jahre auf ca. 140 Mrd. USD wachsen, mit jährlichen Wachstumsraten von ca. 10 % p. a. und damit ca. 10 % des weltweiten Fleischmarktes von heute 1,4 Billionen USD ausmachen.

Hierzu kommt der ebenfalls immer größer werdende Markt für pflanzliche Milch- und Käsealternativen. Nach Einschätzung von Marketwatch, einem amerikanischen Marktforschungsunternehmen, hat der weltweite Markt für Käsealternativen schon heute ein Umsatzvolumen von 2,5 Mrd. USD und wird mit durchschnittlichen Wachstumsraten von ca. 7,3 % weiter expandieren.

Eine weitere alternative Proteinquelle bilden Insekten, die zwar hierzulande noch eine absoluten Nischenmarkt darstellen, weltweit, speziell in Asien, aber eine wichtige Rolle einnehmen. Das Marktforschungsunternehmen Meticulous sagt voraus, dass der Weltmarkt für wichtige Speise-Insekten 2018 bis 2023 auf 1,18 Mrd. USD klettern werde – mit jährlichen durchschnittlichen Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent.

Es ist davon auszugehen, dass sich, auch bedingt durch die Einflüsse der Fridays for Future Bewegung, diese Märkte noch weitaus dynamischer entwickeln könnten. Die Generation Z bringt die Future Food Produkte in die Haushalte und wird auch die Generation der Babyboomer wahrscheinlich dazu bringen zumindest einen Teil ihrer Ernährung auf diese Alternativen umzustellen. Goldene Zeiten für die Produzenten. Allerdings wird bedingt durch die hohe Marktattraktivität auch der Wettbewerbsdruck in diesem Bereich erheblich zunehmen.

 

Alle Macht den Enzymen

Eigentlich das genaue Gegenteil von Innovation und seit Jahrhunderten bekannt – jedoch ein wenig in Vergessenheit geraten – sind die Verfahren zur Haltbarmachung und Veredelung von Lebensmitteln durch Fermentation. Was bei Sauerkraut und Essiggurken eher langweilig klingt, gewinnt durch die Erwartung positiver gesundheitlicher Wirkungen durch eine Veränderung des Ernährungsverhaltens eine ganz neue Qualität. Insbesondere probiotische Lebensmittel liegen im Trend. Neben den bekannten Klassikern in diesem Bereich wie z. B. probiotische Joghurts oder Kefir, sind zunehmend Produkte wie Kombucha Getränke oder fermentiertes Gemüse, wie z. B. Kimchi ein wachsender Bereich.

Future Food aus der Vergangenheit. Hierbei spielt der Aspekt der Haltbarmachung im Vergleich zur gesundheitlichen Wirkung auf Darmflora und Immunsystem nur noch eine Nebenrolle.  Auch wenn wissenschaftliche Studien zu diesem Bereich noch zu keinen eindeutigen Ergebnissen kommen, ist das Interesse und die Überzeugung der Konsumenten groß. Für 2024 erwarten Marktforschungsinstitute wie Mordor Intelligence einen globale Umsatz von ca. 1 Mrd. USD für fermentierte, probiotische Lebensmittel und Getränke.

Die neue, alte Vielfalt

Die Menschheit ist in Bezug auf ihre Ernährungsgewohnheiten ziemlich konservativ, um nicht zu sagen eingeschränkt. So stammen 98 % der weltweit produzierten Lebensmittel von 12 Pflanzen- und 14 Tierarten. Drei hiervon (Reis, Mais und Weizen) bestimmen zu 90 % die Weltproduktion und zu mehr als 50 % die von Menschen konsumierten Kalorien. Das ist nicht nur ziemlich einseitig und wenig abwechslungsreich, sondern begründet auch Risiken durch Abhängigkeiten, Monokulturen oder das Aufkommen von Pflanzenkrankheiten. Zu dieser Einschätzung kommt u. a. eine neue von WWF und Unilever geförderte Initiative, die sich um eine breitere Diversifizierung der pflanzlichen Rohstoffe bemüht.

Ernährungszusammensetzung nach Kontinent (Quelle: Blue Horizon)

 

Auf den Speisezettel sollen auf diese Weise u. a. Algen und Seegras aber auch Bohnen und Hülsenfrüchte wie Adzuki Bohnen, Schildkrötenbohnen oder auch die gute alte Ackerbohne kommen. Aber auch Kakteen und alte Getreidesorten wie Amaranth, Buchweizen, Hirse sowie in unseren Breiten eher unbekannte Sorten wie Khorasan Weizen stehen auf der Liste von insgesamt 50 Pflanzenarten, die zukünftig unseren Speiseplan bereichern sollen.

 

Mögliche Proteinquellen (Quelle: blue horizon)

 

Hieraus attraktive Produkte zu entwickeln wird eine Herausforderung für die Lebensmittelindustrie sein. Allerdings steigen auch hier das Interesse und die Bereitschaft, sich mit neuen Angeboten auseinanderzusetzen und Neues auszuprobieren. Food Start-ups können hier eine Vorreiterrolle übernehmen und den Weg für massentaugliche Future Food Produktkonzepte ebnen.

 

Neue Wege gehen – schneller werden – Chancen nutzen – Future Food

Etablierte Unternehmen werden sich aus ihren bestehenden Kompetenzfeldern herausentwickeln und ihre Komfortzone verlassen müssen, um beim Future Food Markt mithalten zu können. Betrachtet man die Entwicklungen von der Kapitalmarktseite zeigt sich, dass z. B. in den USA allein in die 15 am höchsten bewerteten Lebensmittel- und Getränke Start-ups ca. 1,5 Mrd. USD geflossen sind (Stand 2017, Quelle), von denen sich die meisten im Bereich pflanzlicher Lebensmittel und Getränke positionieren. Zumindest einige dieser Unternehmen werden ihren Weg gehen und eigenständig oder durch Übernahme eines großen Industrieunternehmens dauerhafte Marktbedeutung erlangen. Das Beispiel von Beyond Meat zeigt, in welcher Geschwindigkeit neue Unternehmen eine hohe Sichtbarkeit erlangen können.

Doch nicht nur die Entwicklungen bei Start-up Unternehmen zeigen, wie sich etablierte Marktstrukturen verändern. Auch wenn sich der weltweite Fleischkonsum aufgrund der Bedarfssteigerungen in Schwellenländern insgesamt weiter steigen wird, wird sich das Konsumverhalten in den westlichen Industrieländern nachhaltig verändern.

Pflanzenbasierte Ernährung

Der pflanzenbasierte, alternative Markt (Quelle: Blue Horizon)

 

Die Herausforderungen von Future Food an die Industrie:

 

Kürzere Produktzyklen

Die nutzbaren Zeiträume für die Entwicklung und Nutzung von neuen Produktkonzepten werden sich bedingt, durch sich schnell verändernde Konsumgewohnheiten und eine hohe Wettbewerbsdynamik, deutlich verkürzen. Dadurch sinken Amortisationszeiten und steigen die Innovationskosten.

Wettbewerb um Rohstoffe

Steigende Nachfrage infolge einer wachsenden Weltbevölkerung und steigendem Wohlstand in Schwellen- und Entwicklungsländern sowie hohe Qualitätsanforderungen an die Produkte bei begrenzten Anbauflächen werden zu steigendem Wettbewerb um hochwertige Rohstoffe führen. Unkonventionelle und bisher wenig genutzte Rohstoffe und Pflanzenarten müssen genutzt und in attraktive Produktkonzepte umgesetzt werden.

Höhere Innovations- und Risikobereitschaft

Eine weitere Folge der beschriebenen Entwicklungen werden steigende Produktentwicklungs- und Investitionsbudgets sein. Dabei werden neue Verarbeitungsmethoden, z. B. im Bereich Mikrobiologie und Prozesstechnologie, entwickelt und optimiert werden müssen. Um den Verbraucher zu erreichen, wird es verstärkter Marketing- und Kommunikationsanstrengungen bedürfen, um die neuen Produktkonzepte zu Sichtbarkeit und Markterfolg zu verhelfen. Dem stehen jedoch ein harter Wettbewerb und hoher Margendruck seitens des Lebensmitteleinzelhandels entgegen. Diesen Spagat zu überstehen wird für viele der mittelständischen Lebensmittelproduzenten schwer werden.

Kooperation statt Konfrontation

Start-up Unternehmen und Industrieunternehmen sollten sich als Partner auf Augenhöhe verstehen und nicht als Wettbewerber. Betrachtet man eine mögliche Zusammenarbeit als Chance ergeben sich fast symbiotische Konstellationen, bei denen die Start-ups durch frische und unverbrauchte Konzepte und die etablierten Unternehmen durch Erfahrung, Produktions-, Logistik- und Vertriebskompetenz aber auch durch ihre finanziellen Möglichkeiten punkten können.

Dies bedingt aber die Bereitschaft zu Kompromissen und Verständnis für die Anforderungen der jeweils anderen Seite, um gemeinsam erfolgreich sein zu können – vor allem jedoch Offenheit und Flexibilität, um Innovationen und Veränderungen auch innerhalb des eigenen Unternehmens zuzulassen.